Das Bundesverfassungsgericht festigt mit zwei am 30.11.2020 veröffentlichten Beschlüssen vom 16.10.2020 (Az. 1 BvR 1024/19 und Az. 1 BvR 2805/19) seine bisherige Rechtsprechung zu dem stets heiß diskutierten Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB.
Konkret ging es in den beiden zugrundeliegenden Fällen um die vermeintliche Verunglimpfung von Amtsträgern.
Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts stellt eine ehrbeeinträchtigende Äußerung nur dann eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar, wenn das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation die Meinungsfreiheit des Äußernden überwiegt. Für die Instanzgerichte bedeutet dies, dass in aller Regel eine Abwägung der soeben genannten Rechtsgüter bezogen auf den konkreten Einzelfall vorzunehmen ist.
In dem ersten Fall (Az. 1 BvR 1024/19) ging es um Äußerungen eines Mannes gegenüber einem Richter am Familiengericht. Der Richter hatte der von dem Mann getrennt lebenden Ehefrau allein die Entscheidung überlassen, ob sie mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland verreist oder nicht. Zuvor soll der Richter in der mündlichen Verhandlung süffisant gelächelt und bereits angekündigt haben, zu Lasten des Vaters zu entscheiden. Außerdem habe der Richter dem Vater gleichermaßen süffisant gesagt, er könne ja Beschwerde gegen die Entscheidung einlegen. Der Mann legte die entsprechende Beschwerde ein. Da der zuständige Familiensenat am Oberlandesgericht jedoch erst einen Monat nach Rückkehr des Kindes von der Reise auf die Beschwerde reagierte, erhob der Mann Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter am Familiengericht. Darin fand sich folgende Ausführung: “Nach meinem Rechtsempfinden steht es einem Richter ohnehin nicht zu, bei seiner Urteilsverkündung dem Geschädigten mit einem dämlichen Grinsen Ratschläge wie er könne ja Beschwerde gegen sein Urteil einlegen zu erteilen, erst recht wenn er anscheinend davon ausgeht, dass die Beschwerde sowieso nachträglich behandelt wird. Wenn es um das Kinderwohl seiner eigenen Kinder ginge, unterstelle ich […], dass er nicht mehr so lax mit den Terminen umgehen und erst recht nicht dabei dämlich grinsen würde.”
Wegen dieser Äußerungen wurde der Mann nach vorherigem Strafbefehl und daraufhin eingelegten Einspruchs wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen verurteilt. Sowohl das Landgericht Landshut als auch das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigten die Verurteilung des Amtsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht sah darin jedoch nun eine Verletzung der Meinungsfreiheit und hielt die Verfassungsbeschwerde des Mannes für “offensichtlich begründet”. Die Äußerungen des Mannes und der Vorwurf des “dämlichen Grinsens” gehören danach “ganz offensichtlich nicht zum kleinen Kreis sozial absolut tabuisierter Schimpfwörter, deren einziger Zweck es ist, andere Personen herabzusetzen.” Die oben genannte Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Richters und der Meinungsfreiheit des sich äußernden Vaters fiel daher zugunsten des Vaters aus.
In dem zweiten Verfahren (1 BvR 2805/19) ging es um eine Auseinandersetzung zwischen einem Flugreisenden und einem Polizisten am Flughafen München. Der Reisende hatte den Polizisten im Rahmen einer Diskussion gefragt, ob dieser der deutschen Sprache mächtig sei. Darüber hinausgehend stellte der Reisende infrage, ob der Polizist in der Lage sei, einfachste Sachverhalte zu erfassen und zu bewältigen.
Das Amtsgericht verurteilte ihn deshalb wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen. Auch hierbei wurde die Entscheidung des Amtsgerichts durch die nächsthöhere Instanz bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht sah die erhobene Verfassungsbeschwerde des Mannes ebenfalls als “offensichtlich begründet” an. Zwar sei die Einordnung der Äußerung als kränkend nicht zu beanstanden. Sie könne aber nicht aus dem Kontext herausgelöst als allein auf die Diffamierung des Polizisten gerichtet verstanden werden. Das Bundesverfassungsgericht wörtlich: “Weder zeichnen sich die Äußerungen durch eine besonders gehässige Form aus noch verwendete der Beschwerdeführer schwerwiegende Schimpfwörter, die als Formalbeleidigung eingestuft werden könnten”. Für eine verfassungsrechtlich tragfähige Verurteilung “wäre daher eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grenzbeamten in den konkreten Umständen des Falles erforderlich gewesen.” Eine solche sei durch die Instanzgerichte jedoch nicht vorgenommen worden.
Andreas Thomalla
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht
Augsburg