In einem aktuellen Beschluss hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden, dass auch Fälle der sogenannten Polizeiflucht dem Straftatbestand des § 315d StGB (Verbotene Kraftfahrzeugrennen) unterfallen können.
Der Entscheidung des Oberlandesgerichts (Beschluss vom 04.07.2019, Az.4 Rv 28 Ss 103/19) lag dabei folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Angeklagte flüchtete mit seinem Fahrzeug vor einer Streifenwagenbesatzung der Polizei, die ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollte und ihm deshalb ein Haltesignal anzeigte. Dabei fuhr er — die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschreitend und unter Missachtung der Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer — mit weit überhöhter Geschwindigkeit (mindestens 145 km/h statt der innerorts erlaubten 50 km/h) durch den Ort Engstingen. Hierbei wurde der Angeklagte ganz nebenbei noch geblitzt.
Nach dem Ortsausgang fuhr er auf der teilweise kurvenreichen und unübersichtlichen Bundesstraße 313 mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 180 km/h weiter. Die Polizeibeamten konnten die Distanz zum Fahrzeug des Angeklagten nicht verringern und brachen die Verfolgung letzten Endes ab.
In erster Instanz wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Münsingen (Az. 1 Cs 26 Js 12585/18) wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt worden. Ihm wurde weiterhin die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein wurde eingezogen. Die Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde auf neun Monate festgesetzt. Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Sprungrevision zum Oberlandesgericht eingelegt, die jedoch im Ergebnis ohne Erfolg blieb.
Nach der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart hat das Amtsgericht fehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dafür sei das Abzielen auf eine relative, nach den Sicht‑, Straßen-und Verkehrsverhältnissen oder den persönlichen Fähigkeiten des Fahrers mögliche Höchstgeschwindigkeit ausreichend.
Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Haupt- bzw. Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Vielmehr kann auch in Fällen der Polizeiflucht eine Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB dann vorliegen, wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen im Einzelfall — was vorliegend der Fall gewesen ist — festgestellt werden können.
Sowohl der Gesetzeswortlaut des seit dem 13.10.2017 geltenden Straftatbestand des § 315d StGB als auch die Gesetzesbegründung sprechen dafür, auch die Flucht vor der Polizei als tatbestandsmäßig anzusehen. Schließlich ist eine solche Flucht von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Begründung des Gesetzgebers genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt. Vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm wäre es dabei sinnwidrig, für eine Strafbarkeit — bei identischer Fahrweise und gleicher abstrakter Gefährdungslage — allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst haben.
Andreas Thomalla
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht
Augsburg